10. März 2013

Wie ich aus Indonesien nach Deutschland kam und hier meine zweite Heimat fand (1)

Kurzvortrag von Dr. Ridwan Sartiono im Rahmen der DIG Mitgliederversammlung am 7.03.2013


Vor 60 Jahren wurde ich in der Stadt Tangerang in der Nähe von Jakarta geboren. Damals war Tangerang noch klein und überschaubar und jetzt sind die vier Städte Jakarta, Bogor, Tangerang und Bekasi zu einem Ballungzentrum mit der Bezeichnung Jabotabek zusammengeschmolzen.
Mein Geburtsname ist Thio Oen Goan und bedeutet warme Quelle. Am Namen kann man erkennen, dass ich chinesischer Abstammung bin. Wann genau meine Ururgrosseltern aus China nach Indonesien ausgewandert waren, weiß ich bis jetzt leider nicht. In Indonesien war ich ein Chinese, obwohl ich kein Chinesisch kann und auch China nicht kenne. Meine Eltern hatten fünf Söhne und vier Töchter, ich bin das sechste Kind. Knapp 19 Jahre verbrachte ich mein Leben dort in Tangerang mit zwei Kulturen, nämlich Indonesisch und Chinesisch. Das war für mich schon eine Bereicherung.
Zuhause bei meinen Eltern war ich sehr verwöhnt und behütet, da meine Eltern drei Dienstfrauen hatten. Eine Frau war nur für die Wäsche, eine für die Küche und eine für die Kinder. Wegen der politischen Unruhen im Jahr 1965 musste ich im Alter von 12 Jahren einen indonesischen Namen annehmen. Ich hatte Ridwan als Vorname ausgesucht und mein Vater hatte Sartiono als Familienname festgelegt. Später hier in Deutschland sagten einige arabische und türkische Kollegen, dass Ridwan ein arabischer Name ist und bedeutet: ein Engel, der die Paradiestore bewacht.
Ich besuchte dort in Tangerang eine katholische Grund-, Mittel- und Oberschule. In der Schule damals herrschte eine strenge Ordnung und Disziplin. Wir waren von den holländischen Nonnen und Priestern betreut. Vor dem Unterrichtsbeginn und nach dem Unterrichtsende mussten wir alle stehen und Vaterunser beten. Ich fühlte mich in der Schule wohl und lernte viel. In der Oberschule war ich als Klassensprecher tätig und danach für zwei Jahre als Schulsprecher. In Indonesien besuchten wir nur 12 Jahre die Schule. In der 11. Klasse bekam ich zusätzlich Deutschunterricht als Fremdsprache, den ich nach einem Jahr gleich abwählte, da ich diese schwierige und komplizierte Sprache nicht lernen wollte.
Eines Tages bot mein Vater mir an, anders als meine Geschwister, im Ausland zu studieren. Nach einigen Überlegungen entschied ich mich gegen Australien und für Deutschland. Deutschland war bekannt für technische Ausbildung. Nach dieser Entscheidung bestellte ich für 2 Monate einen Deutschlehrer nach Hause. Gleichzeitig liefen die Vorbereitungen für die Reise nach Deutschland. Für die Reise benötigte ich einen Reisepass. Dafür musste ich erst offiziell eine indonesische Staatbürgerschaftsurkunde beantragen. Diese Formalitäten nahmen viel Zeit in Anspruch. Ich buchte einen Deutschkurs am Goethe-Institut in Bad Arolsen in der Nähe von Kassel.
Am 20 Februar 1972 flog ich nach Deutschland, um Bauwesen zu studieren und anschließend in meine Heimat zurückzukehren, da mein Vater eine große Baufirma hatte. Als ich in Deutschland ankam, lag dicker Schnee. Für mich war es das erste Mal, Schnee in der Natur zu sehen. Ich besuchte in Bad Arolsen für 4 Monate einen Deutschkurs. Dafür musste ich 4000 DM bezahlen. Im Goetheinstitut waren viele Studenten aus verschiedenen Ländern. Wir tauschten viele interessante Erfahrungen aus. Nach dem Sprachkurs besuchte ich das Studienkolleg für ein Jahr in Hamburg, um das deutsche Abitur zu erlangen. Dort wohnte ich in einem Studentenwohnheim, in dem mehrere ausländische Studenten wohnten. Dort lernte ich die junge deutsche Studentin Anneli kennen.
Im Wintersemester 1973 fing ich an, Bauwesen an der TU Berlin zu studieren. 1975 wechselte Anneli ihren Studienplatz zur FU Berlin und zog zu mir ins Studentenwohnheim Nollendorfplatz in Westberlin ein, nachdem wir uns 1,5 Jahre lang gegenseitig übers Wochenende besucht hatten. Im Sommer 1975 machten wir gemeinsam einen 6 wöchigen Urlaub in Indonesien. Ich dachte, es wäre sinnvoll, dass meine Freundin meine Familie in Indonesien und auch das Land kennenlernen sollte, um festzustellen ob sie dort leben könnte. Wir feierten im Haus meiner Eltern unsere Verlobung mit ca. 150 Gästen.
Ab unserer Verlobung 1975 fing ich an, mich für die deutsche Kultur, Gesellschaft und Politik zu interessieren, hörte öfter klassische Musik, besuchte Konzerte, Theater und Museen. Außerdem gewöhnte ich mich an die deutsche Art, in der Natur ohne bestimmtes Ziel zu wandern, was man in Indonesien als völlig nutzlos bezeichnen würde.
In Berlin studierten wir beide sehr fleißig und hatten viele Freunde aus unterschiedlichen Ländern, die unser Leben bereicherten. Nach dem Studium arbeitete ich an der TU Berlin für 5 Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Bauinformatik, wo ich dann meine Promotion abschloss. Als meine Freundin ihr erstes Staatsexamen abgelegt hatte, heirateten wir im November 1978. Danach wurden unsere Tochter Julia und unser Sohn Johannes geboren.
Wir machten uns viele Gedanken, wo wir leben und arbeiten wollten, nämlich entweder hier in Deutschland, oder in Indonesien oder in einem neutralen Land. Für mich war es sehr beruhigend zu wissen, dass meine Frau bereit war, mit mir nach Indonesien auszuwandern und dort zu leben. Einige Versuche hatten wir bereits unternommen:
  1. Versuch: Nach Neuseeland konnten wir auswandern, aber als es soweit war machte ich einen Rückzieher.
  2. Versuch: Wir wollten zu der Insel Batam, in der Nähe von Singapur auswandern. Ich besuchte 1982 diese Insel, um zu erfahren ob ich dort als Bauingenieur arbeiten könnte. Aber Damals gab es auf dieser Insel noch fast keine Infrastruktur.
  3. Versuch: Als Dozent an der Universität in Ujung Pandang ehemals Makasar in Süd Sulawesi. Dort gab es jedoch kein Rechenzentrum für ein neu zu gründendes Institut für Bauinformatik, wie in Berlin.
Wir konnten uns wirklich nicht entscheiden, wo wir leben wollten, da die beiden Länder Deutschland und Indonesien Vorteile und auch Nachteile haben. Darüber hatte ich sogar, aber ohne Ergebnis, eine Entscheidungsmatrix erstellt.
Im August 1986 fing ich an, bei Volkswagen in der Forschung und Entwicklung als Systemanalytiker zu arbeiten. Wir wohnten in einem Mietshaus in Hillerse. Ein Jahr später kauften wir ein Doppelhaus in Wedelheine, von wo aus man die drei Städte Wolfsburg, Braunschweig und Gifhorn gut erreichen kann.
Das war eine richtig große Entscheidung, dass wir hier in Deutschland leben wollten. Von nun an, war mein Kopf frei für die weitere Entwicklung unseres Lebens. 1988 wurde ich eingebürgert und erhielt die deutsche Staatsbürgerschaftsurkunde. Dafür musste ich den indonesischen Pass abgeben.
Damals bevor wir diese Entscheidung getroffen hatten, meinte ich immer Indonesien, wenn ich zu Hause sagte, da ich dort geboren wurde. Auch damals, wenn jemand mich grob behandelt oder beschimpft hatte, war ich gekränkt, und dachte, weil ich ein Ausländer war. Diese Gefühle habe ich nun schon lange nicht mehr. Früher war es für mich normal, dass Menschen so leben sollten, wie ich es aus Indonesien kannte. Deshalb hatte ich oft Menschen hier aus der indonesischen Sicht kritisiert, wie sie lebten. Zum Beispiel beim Umgang zwischen Eltern und Kindern. Umgekehrt genauso, wenn ich in Indonesien war. Ich hatte versucht, Menschen in Indonesien aus der deutschen Sicht zu beeinflussen.
Da wir fast jedes Jahr mit oder ohne Kinder nach Indonesien flogen, um dort meine Geschwister zu besuchen und insbesondere in unterschiedlichen Orten Urlaub zu machen, verschwanden allmählich die beiden starren deutschen und indonesischen Sichtweisen, wie man leben sollte. Meiner Meinung nach gibt es keinen Standard, sondern es gibt nur unterschiedliche Lebensweisen. Das heißt, dass man in unterschiedlichen Kulturen auch unterschiedlich lebt, man lebt nur anders. Ich kenne die drei Kulturen indonesisch, chinesisch und deutsch. Ich versuche aus diesen drei Kulturen und Lebensweisen die besten herauszunehmen, die zu mir passen.
Im Jahr 1995 verkauften wir unser Doppelhaus und bauten ein neues Haus in demselben Dorf, da wir dort bereits nette Nachbarn und viele Freunde hatten.
Inzwischen empfinde ich es als große Bereicherung, dass ich sowohl Indonesien als auch Deutschland meine Heimat nennen kann.
Nun genieße ich meinen Vorruhestand, und wir besuchen öfters unsere Enkelsöhne Milo in Hamburg und Noah in Singapur. Nächste Woche am Freitag fliegen meine Frau und ich nach Singapur. Wir bleiben dort 2 Wochen bei unserer Tochter, Schwiegersohn und Enkelsohn. Meine Frau fliegt zurück und ich verbringe zusätzlich drei Wochen in meiner ersten Heimat und am 18 April fliege ich in die zweite Heimat zurück.
Autor: Dr. Ridwan Sartiono